Ich möchte die Leute glücklich machen…

Interview mit der Schweizer Opern- und Konzertsängerin Marion Ammann in Wien, 14.7.2007
Anlässlich ihrer Mitwirkung als Leonore in Beethovens „Fidelio“ bei Operklosterneuburg im Kaiserhof des Stiftes Klosterneuburg nahm ich die Gelegenheit wahr, die Schweizer Sängerin Marion Ammann am 14. Juli zu interviewen. Sie war mir bereits 2006 als eindrucksvolle Kaiserin in der „Frau ohne Schatten“ in Helsinki aufgefallen. Marion Ammann ist in Zürich geboren, wo sie auch aufwuchs, und lebt im Schweizerischen Dornach. Hier steht ein grosses Festspielhaus, in dem sie oft die Dramen von Goethe gesehen hat. In „Faust“ I und II war sie allein etwa 40 Mal! Sie besuchte das Lehrerseminar in Schiers und erhielt ihr Lehrdiplom im Fach Gesang bei H. Fischer an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik 1991 in Luzern. Nach Privatstudien bei Prof. H. Haefeli in Zürich und Denis Hall in Bern sowie Meisterkursen bei Ernst Haefliger, Edith Mathis, Kurt Widmer und Helmut Rilling bekam sie ihr Konzertreifediplom im Fach Oper am Opernstudio Biel, 1997. Mit einem Schmunzeln sagt sie, dass sie die Abschlussprüfung ausgerechnet mit der Brünnhilde und der Charlotte bestand. Sie erhielt anschließend mehrere Förderpreise und war 1998 Stipendiatin des Richard Wagner Verbandes Bayreuth. In der Folge gastierte sie am Opernhaus Zürich, Stadttheater St. Gallen, Luzerner Theater, Theater Basel, Opéra de Genève, MIR Gelsenkirchen, Opéra Théâtre de Besançon und am Nationaltheater Weimar und ging auch einer regen Konzerttätigkeit im In- und Ausland nach. Lisbeth Ammeter ist ihre Lehrerin in Dornach.

Wie kam sie nach Wien, und wie fühlt sie sich in dieser Stadt?
Über einen Freund, der hier in „Cenerentola sang und ihr mitteilte, dass man noch eine zweite Leonore suchte. Ehrfurchtsvoll unterstreicht Marion Ammann, dass in Wien Beethovens „Fidelio“ 1805 uraufgeführt wurde und auch 1955 das erste Werk an der wiederaufgebauten Staatsoper war. Also, schon allein deswegen ein ganz besonderer Ort - Wien ist ein Wahnsinn! Überall geht sie den Spuren Beethovens nach, sah an der Staatsoper „Lohengrin“ mit Ben Heppner und „Werther“ mit Neil Shicoff. Man merkt, sie fühlt sich pudelwohl hier, wozu auch die kollegiale Atmosphäre beim Produktionsteam in Klosterneuburg und ihre Freude über das hohe sängerische Niveau beiträgt.

Erste und aktuelle wichtige Rollen.
Die „Fidelio“-Leonore war übrigens eine ihrer ersten Rollen 1999 in Biel nach der Lady Macbeth sowie der Hexe und Mutter in „Hänsel und Gretel“. Später folgten Senta und Tosca in Besançon, letztere auch in Biel. In den vergangenen fünf Jahren sang sie einige zentrale Rollen der Musikdramen von Richard Wagner und Richard Strauss. Die Isolde in Lübeck 2004-2005 mit Richard Decker als Tristan, die Salome in Helsinki 2005 und ebendort die Kaiserin 2006 mit John Treleaven (Der Merker berichtete). Interessanterweise war Marion Ammann aber nie fest angestellt - sie legt Wert auf die Auswahl ihrer Rollen und ihre Individualität. Momentan hat sie etwa 20 Rollen im Repertoire, wozu auch die „Figaro“-Gräfin (Bern), Dorabella und Elvira in „Don Giovanni“ gehören, auch die Adalgisa. Bis zu 70 Mal pro Jahr tritt sie auf, Konzerte eingeschlossen. Mit ein wenig Melancholie sagt sie, dass sie alle Rollen, die sie sich immer wünschte, schon gesungen hat, obwohl ich ihr das nicht ganz abnehme. Koloraturen sind aber ihre Sache nicht, sie ist „auf Linie geschult“, und dabei kommen wir auf das interessante Thema ihrer:

Auffassung von Stimme und Gesang.
Beethoven brauche Raum um die Töne herum, man muss immer sehr gut vorgreifen, damit man sich nicht „verharkt“. Sie fühlt sich bei Beethoven, und zumal bei der Leonore, stets einem gewissen Druck ausgesetzt. Die Rolle sei sehr schwer zu singen, man müsse dauernd an die Technik denken. Und dann so viel Text, auf jede Note eine Silbe! Senta hingegen ist viel leichter zu singen, das geht fast von allein, und man kann auf Linie aussingen. Höhenangst hat sie allerdings keine!

Ihre Rollenauffassung und die Frauengestalten, die sie verkörpert.
Sie fühlt sich glücklich, dass sie die Rollen singen darf, die viel Emotion vermitteln. Das will sie voll wiedergeben, nie sparen, ja nicht einmal in Proben markieren. Man muss als Zuhörer weinen können, wenn Isolde und Elsa ganz in ihren Rollen aufgehen. Und was sind das für Frauentypen! Isolde pflegt den Mörder ihres Mannes gesund! Damit muss man erst mal klar kommen - wie schaffe ich es, den Zorn, den Wahn, den Blick und den Traum auszudrücken? Das ist unglaublich reizvoll. Oder wie Senta mit dem Ahasver Holländer klar kommt. Oder die Tollkühnheit Fidelios, die sich verkleidet und das totale Risiko eingeht, um ihren Mann wieder zu finden und zu retten. Und schließlich Elsa, die als einzige die Gewissheit hat, dass da einer ist, der weiß, dass sie nicht lügt. Die Wahrheit ist stärker als die Lüge! Nur diese maximalen Herausforderungen reizen Marion Ammann. Mit einer Rosalinde hat man es da schwieriger… Und da bricht es aus ihr heraus:

Wir Sänger sind privilegierte Menschen!
Privilegiert, weil wir mit einen Beruf ausüben dürfen, der anderen Freude macht, ihnen gute Emotionen verschafft. Ihr ist wichtig, dass sie mit ihrer Arbeit etwas in der Welt verändert, und sei es auch noch so gering. Es muss sinnvoll sein. Die Leute sollen anders hinausgehen, als sie in die Oper oder das Konzert herein gekommen sind - dann hat Marion Ammann etwas erreicht. Im Gegenzug gebe es im Opernmanagement immer mehr Menschen, die nicht mehr recht wissen, was ein Sänger oder eine Sängerin braucht, was es eigentlich heißt, ein Sänger zu sein (Gerade konnte man dies in Salzburg wieder erleben – Anmk. des Int.). Manche Operndirektoren bauen nicht mehr auf, sie richten den Spielplan nicht als erstes nach den Fähigkeiten des Sängerensembles aus. Und man kann auch Gastsänger aufbauen, gerade wenn sie häufiger an einem Haus gastieren.

Lieblingskomponisten.
Zuerst Richard Wagner, dann gleich Johann Sebastian Bach. Sie hat viele seiner Kantaten gesungen, das Weihnachtsoratorium, die Matthäuspassion und die Johannespassion, natürlich auch die H-Moll Messe.

Ihre weiteren Pläne.
Die Elsa kommt in Leipzig im Januar 2008. Ihre Rollendebüt als Sieglinde wird Marion Ammann im Dezember 2007 in Porto konzertant und im Dezember 2008 in Lübeck szenisch geben. Ihr Scala-Debüt in Mailand gab sie mit der Rychtarka in der „Jenufa“ im Mai diesen Jahres. Es gibt auch noch andere größere Projekte, über die sie aber noch nicht sprechen kann… Die Chrysothemis würde sie natürlich reizen. Die Elektra allerdings nicht, das wäre noch mal „eine Nummer“ über der Salome, da man muss sehr vorsichtig sein… Vielleicht aber 2009 die Kundry?! Das wäre aber in des Wortes wahrster Bedeutung Zukunftsmusik. In der kommenden Saison wird sie mehr in Bern singen, aber weiterhin bei ihrem Grundsatz bleiben, freischaffende Künstlerin zu sein. Ich habe mit Marion Ammann einen jugendliche, hoch motivierte, humorvolle und engagierte Künstlerin kennen gelernt, die sicher noch viel Potenzial für mehr hat. Ich wünsche ihr auf dem sorgfältig und mit Bedacht eingeschlagenen Weg weiterhin viel Erfolg.

Klaus Billand, Der Neue Merker, Wien (www.der-neue-merker.eu)